Politisches Samstagsgebet München
21. Mai 2022 – 18:00 Uhr ,
Kath. Hochschulgemeind, Leopoldstr. 11; U3/U6 Giselastraße, Ausgang Georgenstraße
Krieg in der
Ukraine -
"Zeitenwende" für die Friedensethik?
Wahrlich, wir leben fast schon in
finsteren Zeiten“. Unser Referent zitiert hier Berthold Brecht und führt
weiter aus:
„Erleben wir gar eine Zeitenwende? Und wo-durch sollte diese ausgelöst worden
sein? In welche neue Richtung entwickeln sich die Zeiten denn? Oder ist diese
Rede doch nur Teil der Lügen und Propaganda, die immer neu von allen Seiten auf
uns einstürmen? Die Flut von Erklärungen, Stellungnahmen, offenen Briefen,
Botschaften, Bildern und medialen Inszenierungen ist geradezu erdrückend und
alle beanspruchen natürlich, nur der Wahrheit zu dienen.
Wenn Frau Baerbock anlässlich des Ukrainekriegs äußert „Wir sind in einer
anderen Welt aufgewacht“, dann muss man schon fragen, was für eine offenbar
heile Welt das vorher gewesen sein soll. Wann hat denn je ein Krieg eine Zeiten-wende
ausgelöst? Freilich war da immer die Hoffnung, das Ende eines Krieges könnte
eine Befriedung bewirken, aber es war immer eine Illusion, weil jede Gewalt die
Saat zu neuer Ge-walt in sich trägt. Die Folge an Kriegen im 20. Jahrhundert
bis zur Gegenwart bestätigt diesen traurigen Befund. Kein Krieg bricht aus,
jeder hat eine Vorgeschichte, die Konfliktgenese reicht meist zurück zum
vorangegangenen Krieg. Auch der Ukrainekrieg hat eine lange Eskalationsgeschichte,
die freilich nicht einfach linear verläuft, sondern komplexe Verwicklungen auf-weist,
auch wenn sie sehr vereinfachend- nach dem jeweiligen interessengeleiteten
Framing (Narrativ) – sehr unterschiedlich erzählt wird.
Entsprechend unterschiedlich und
folgenreich sind dann die Konsequenzen, die aus solchen Interpretationen
gezogen werden. Dass fast alle Seiten zurecht fordern, der Krieg müsse sofort
beendet werden, ist gut und verständlich, aber der Weg zu diesem Ziel ist
höchst umstritten. Zu erkennen, dass jede Seite, wir alle, dabei in einem
Dilemma stecken, das sich eben nicht durch handfeste Methoden lösen lässt, wäre
schon ein erster, hilfreicher Schritt. Die sorg-fältige Analyse der
Konfliktgenese ist jedoch wichtig und Voraussetzung für die Wahrnehmung und
das Eingeständnis von Fehlern aller Beteiligten in der Vergangenheit, ohne die
eine erfolgreiche Begegnung und Verhandlung der Kriegsparteien, um einen
Waffenstillstand, ein Kriegsende und gar eine Befriedung zu erreichen, nicht
möglich ist. Davon sind wir leider noch weit entfernt!
Die vorherrschende Kriegslogik scheint sehr einfach, plausibel und konsequent
zu sein: Frieden schaffen mit immer mehr Waffen, Sicherheit durch Stärke,
Abschreckung durch
Aufrüstung, sich nichts gefallen
lassen, Angriff ist die beste Verteidigung, Gut gegen Böse und
wie die schneidigen Parolen noch alle heißen. Da darf man dann Andersdenkende
als „Lumpen-Pazifisten“ (Spiegel) beschimpfen – was ja noch die harmlose
Variante ist. Gandhi als Friedensethiker erscheint in dieser Logik nur noch
als „Knalltüte“.
Die Friedenslogik hingegen ist keineswegs so einfach und stringent. Auch wenn
sich Stimmen aus den Kirchen durchaus unterschiedlich zu Hilfsmaßnahmen für die
Ukraine äußern, ist die Frage, ob die Friedensethik deshalb tatsächlich vor
einem „Scherbenhaufen“ steht. Müssen die Kirchen wieder zu dem Konstrukt der
„Lehre vom gerechten Krieg“ zurückkehren, dass sie eigentlich überwunden hatten
als sie die Vision des „Gerechten Friedens“ in ihrer Ethik entwickelt hatten?
Ist also auch eine Zeiten-wende der Friedensethik angebrochen, wenn der
Sozialethiker Markus Vogt Papst Franziskus kritisiert, seine in der Enzyklika
„Fratelli tutti“ dargelegte Ablehnung jeglicher Kriegsführung hielte der
Situation in der Ukraine nicht stand?
„Sicherheit neu denken“ bleibt also ein umso wichtigerer Prozess für die
Zukunft!“
Erwin Schelbert, ehemaliger Oberstudiendirektor
war in der Studiengesellschaft für Friedensforschung München e.V. beschäftigt
und ist seit vielen Jahren in der Friedensbewegung engagiert.
Eva Haubenthaler war lange Zeit als Gemeindereferentin in der
Klinikseelsorger tätig und engagiert sich als pax christi Mitglied in der Gruppe
Erding-Dorfen.