Bayernplan
30. Jul 2020
„Wir beobachten, dass Corona, Klimawandel, Artensterben, Ungleichheit mit einhergehender sozialer Desintegration und wachsendem Populismus sowie andere Alarmsignale unserer Zeit sich überlagern und wechselseitig verstärken.
Dies legt nahe, dass viele dieser Phänomene eine gemeinsame Ursache haben:
Die gegenwärtige, neoliberale Art und Weise, Wirtschaft und Gesellschaft zu organisieren, in deren Folge die Gesellschaft sich polarisiert, natürliche Ressourcen übernutzt und verschmutzt, Lebensräume verkleinert, Pandemien Wege bereitet werden.
Kurzfristig müssen die aktuellen Corona-Hilfspakete auch zur Einleitung der Transformation hin zu einer sozial-gerechteren und ökologisch nachhaltigeren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beitragen und dadurch muss vermieden werden, in jene Gleise zurückzufallen, die uns diese Krisen bescheren.
Mittel- und langfristig ist uns klar, dass eine sozial-ökologische Transformation damit nicht erledigt ist. Weitere Maßnahmen sind erforderlich, um diesen Prozess zum Erfolg zu führen.
Es gilt, den Mythos von Laptop und Lederhosen zu aktualisieren und am Leben zu halten und damit dem Überleben der Menschheit einen Dienst zu erweisen.
Wir wollen Mut machen, über den Jetzt-stand, der uns die wachsende Anzahl von Krisen beschert, hinauszudenken und aufzeigen, dass es Alternativen gibt. Ideen sind da, man muss ihnen eine Chance geben. Geld ist da, es muss für die richtigen Dinge verwendet werden. Die Corona-Krise zeigt, wie viel möglich ist, wenn es wissenschaftlich begründet und politisch gewollt wird. Setzen wir auch hier die Politik des Möglichen um!“
Der Petition sind Anlagen beigefügt, die Umsetzungen mit Lösungen zur weiteren Ausarbeitung beinhalten.
Im Rahmen eines Transformationskonzeptes soll ein gesamtgesellschaftlicher Dialogprozesses erarbeitet werden. Runde Tische mit Experten und Bürger*innen sollen gebildet werden, um Vorschläge wie zur Mobilität, Energie, Agrarwirtschaft, Ernährung, Gemeinwohlökonomie, Digitalisierung zu erarbeiten, die dann in einer parlamentarischen Anhörung zur Diskussion gestellt werden.
Am 25. Juni 2020 wurde der Landtagspräsidenten Ilse Aigner dieser Bayernplan übergeben. Die Petition kann aber weiter unterzeichnet werden. Am 28.09. sind es 2.522 Unterzeichnungen, darunter Organisationen und Einzelpersonen aus den verschiedenen Bereichen der katholischen und evangelischen Kirche, sowie Umweltorganisationen, Initiativen aus Eine-Welt-Bewegungen, Kultur, Soziales und Wissenschaft.
Auch unser Diözesanverband hat diese Petition unterzeichnet.
Langfristig ist diese Petition als Vorbereitung auf ein Volksbegehren angelegt, welches dann die bayerische
Landesregierung rechtsverbindlich
zum Handeln zwingen kann.
Es geht beim Bayernplan nicht nur um mehr Unterschriften sondern auch um breitere öffentliche Aufmerksamkeit zum Beispiel in Pfarreien, Kommunen, Vereinen und Verbänden. https://www.wirtransformierenbayern.de
Beim Politischen Samstagsgebet am 19. September hat Erwin Schelbert mit einem beeindruckenden Referat die Forderungen der Petition analysiert und konkretisiert (auszugsweise):
„Corona könnte eine Chance sein, all diese tieferen Zusammenhänge zu begreifen und die Konsequenzen daraus für unser Handeln als Einzelne und in Politik und Gesellschaft zu ziehen.
Die Coronakrise hat gezeigt, dass die Regierenden zunehmend bereit waren, auf die Analysen und Handlungsempfehlungen der Wissenschaft zu hören und entsprechend zu handeln. Dieser Lernprozess könnte auch auf die anderen Krisen übertragen werden – so ist zu hoffen. Die Forderungen der Wissenschaft sind ja wahrlich unüberhörbar.
Die einschneidenden und unpopulären Maßnahmen der Regierenden haben gezeigt, dass eben Politik nicht
nur das ist, was möglich ist, ............ ,
sondern auch das, was notwendig ist, auch wenn es eine Zumutung darstellt.
Die Bereitschaft für akute Krisenbewältigung hohe Finanzmittel einzusetzen und Schulden zu machen, macht deutlich: Geld ist da, mehr sogar, als von manchen erwartet wurde und teilweise dann gar nicht rasch genug abgerufen werden konnte. Aber das Entscheidende ist, dass das Geld für die richtigen Dinge eingesetzt wird, und zwar im Sinne von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit..... Derartige Summen, wie sie jetzt beschlossen wurden, stehen nur einmalig zur Verfügung, es wird keine weiteren Mittel mehr in dieser Größenordnung geben. Sie müssen also jetzt zielführend für eine ökosoziale Transformation ausgegeben werden.
Die Erkenntnis, dass in einer Krise sofort gehandelt werden muss und dazu Gelder bereitgestellt werden müssen, weil sonst in der Zukunft nur um so größere, vielleicht nicht mehr bezahlbare Kosten für die Gesellschaft entstehen, lässt sich auch auf die anderen Krisenherde übertragen. Kostenschätzungen für Schäden bei Versäumnissen beim Klimaschutz liegen bereits vor. Die alte Stern-Prognose ging von 5% des Weltbruttosozialprodukts (Welt-BSP) aus und wurde jetzt von einer Studie nachgerechnet, die auf das Doppelte, also 10% des Welt-BSP kommt, eine gigantische Summe. Hinzu kommt, dass anders als bei Corona, viele Schäden irreversibel sein werden, ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten sind nicht mehr ersetzbar.
Transformation ist ein systemischer Begriff, es geht dabei nicht um Korrekturen in einzelnen Bereichen der Wirtschaft oder der Politik, sondern um einen tiefgreifenden Umbau des gesamten Systems unserer Gesellschaft im Sinne von Nachhaltigkeit. Die Große Transformation betrifft alle Bereiche von Wissenschaft, Produktion und Konsum einschließlich unseres Lebensstiles. Von der Eindring-tiefe ist sie vergleichbar mit der Neolithischen Revolution bzw. der Industriellen Revolution. Der Begriff geht auf den Wirtschaftshistoriker Karl Polany zurück, der schon 1944 feststellte, dass der selbstregulierende Markt ‘nicht über längere Zeit bestehen könnte, ohne die menschliche und natürliche Substanz der Gesellschaft zu vernichten‘. Vor diesem Scherbenhaufen stehen wir aber bereits heute. Um diese Transformation herbeizuführen ist ein neuer Gesellschaftsvertrag notwendig, der alle Menschen und Gruppen betrifft und zu einer neuen Kultur der Achtsamkeit und Teilhabe führen muss und dies über alle Grenzen hinweg, den geographischen, kulturellen, religiösen, und auch jenen der Generationen.
Wir müssten nur sofort aufhören, all die schädlichen Projekte und Prozesse, nicht mehr zu finanzieren beziehungsweise zu stoppen:
4die Förderung in Höhe von 37 Mrd € für nach wie vor fossile Brennstoffe unverzüglich beenden
4Milliardenförderung der Flugfahrt/ Fliegerei stoppen
4Braunkohleförderung mit Absiedelung von Dörfern und Naturzerstörung stoppen
4Kohleausstieg nicht erst bis 2038, sondern jetzt
4Kein neues Kohlekraftwerk mehr in Betrieb nehmen
4Bau der Pipeline Nordstream 2 beenden und Bau von Flüssiggasterminals stoppen. Wir brauchen keine fossilen Energieträger mehr, statt dessen Investition mit Arbeitsplätzen in Erneuerbare Energien
4Ausstieg aus neuen Erdgasprojekten
4Beenden des sinnlosen Konflikts Griechenland ‒ Türkei wegen Erdgassuche
4Zulassungsstopp für PKW mit Verbrennungsmotoren ohne Abwrackprämie
4Ausbau von BAHN und Öffentlichem Nahverkehr, Elektrifizierung aller Strecken
4Einbau von Ölheizungen in Neubauten sofort verbieten
4Massentierhaltung sofort beenden
4Kreislaufwirtschaft sofort einführen
4Sachgerechte CO2-Bepreisung
4Ausstieg von Strom aus Erdöl / Erdgas aus der Nordsee
4und andere sinnlose Ausgaben für zerstörerische Entwicklungen wie Aufrüstung und Waffen-Modernisierung auch für atomare Teilhabe
Dann könnten alle die wichtigen und überfälligen Projekte finanziert werden, die für die Transformation in eine ökosoziale Wirtschaft notwendig sind und nachhaltig für den Fortbestand unserer Lebensgrundlagen sorgen, auch durch Schaffung von 360 000 Arbeitsplätzen nach der Greenpeacestudie 2020.“
Erwin Schelbert beendet sein Referat mit dem Appell: „Dieser kleine blaue und wunderbare Planet Erde ist unsere einzige Heimat. Es gibt keine andere, auch wenn wir noch so viel Geld ausgeben werden, um in den Weltraum zu fliegen. Helfen wir also, diesen Lebensraum Biosphäre für alle Kreaturen jetzt und in Zukunft zu erhalten. Ein kleiner Schritt dazu ist es, diese Petition zu unterschreiben.“
Das vollständige Referat: www.politisches-samstagsgebet.de
Gabriele Hilz in der paxZeitregional 43, Herbst 2020