Russland und Deutschland
01. Mai 2015
Barth, Professor für European Studies und ehrenamtlich im Vorstand der Studiengesellschaft Friedensforschung e.V. tätig, betonte eingangs, dass es bei der Beurteilung der derzeitigen russischen Politik zwei unversöhnliche Lager gebe: die Putinversteher und die Putinhasser.
Zu den Verstehern gehöre die
Wirtschaft, die sehr viel Geld dort investiert habe, die Linkspartei, aber auch extreme Rechte
(z.B. in Frankreich Le Pen) und Verschwörungstheoretiker, die behaupten: hinter
den Vorgängen im Maidan stand die USA.
Zu Putins schärfsten
Kritikern gehören Menschenrechtsvertreter, Osteuropaexperten der Medien und jene, die z.B. in der DDR oder in Osteuropa
unter dem Sowjetsystem gelitten haben.
Barth erläuterte den
geschichtlichen Hintergrund der jetzigen Lage: Vom plötzlichen Zusammenbruch
der Sowjetunion, der u.a. mit Gorbatschow, dem Krieg in Afghanistan und der
westlichen Nachrüstung zu tun gehabt habe.
Gorbatschows Nachfolger
Jelzin, der mit dem Tschetschenienkrieg, einer tiefen Wirtschaftskrise, Korruptionsvorwürfen,
Alkohol- und Gesundheitsproblemen zu kämpfen gehabt habe, empfahl Putin als
Nachfolger. Dieser kam aus dem Geheimdienst und war vorher kaum bekannt. Dem
Volk wurde er als einer präsentiert, der Probleme lösen und Terroranschläge
verhindern werde. 1999 erklärte Jelzin seinen Rücktritt. „Die erste
Amtshandlung seines Nachfolgers Putin war ein Dekret, das Jelzin vor jeglicher
Strafverfolgung schützte“, so Barth.
Seither genießt Putin durch
seine Außenpolitik und seine harte Linie in der Terrorismusbekämpfung in weiten
Teilen der Bevölkerung Russlands große Popularität, gefördert durch staatliche
und staatsnahe Medien. Putin habe bisher alle Angriffe bezüglich einer
Verstrickung des russischen Geheimdienstes und der Armee in Anschläge oder
Kriegshandlungen unbeschadet überstanden. Der Geheimdienst und die Armee habe
alles fest im Griff – Korruption sei weit verbreitet.
Dennoch werde Russland von der deutschen Regierung - entgegen der Empfehlung des BND - nach wie vor als wichtiger Partner gesehen. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014 und der Krieg in der Ostukraine hat das Verhältnis Russlands zum Westen allerdings zerrüttet.
Es sei kein Geheimnis, so Barth, dass die EU mit dem Assoziierungsabkommen bzw. mit der Verpflichtung der Ukraine zur starken Anbindung an den Westen schwere Fehler gemacht habe. Was die EU als Teil ihrer Erweiterungsstrategie verfolgte, bedeutete für Russland nicht nur eine Konfrontation, sondern ein Desaster. Im Nachhinein erweise es sich als ungemein kurzsichtig, Putin nicht in die Verhandlungen mit einbezogen zu haben. Durch einen Assoziierungsvertrag mit Russland wäre vielleicht erreicht worden, was heute auch mit harten Sanktionen nicht zu erreichen ist. Im Gegenteil: Die Sanktionen des „dekadenten“ Westens deute Putin erfolgreich als Auszeichnung dafür, dass sein Land wahre Werte vertrete.
Merkel scheine zu begreifen, dass mit Putin verhandelt und etwas angeboten werden müsse, wo er sein Gesicht wahren kann. Waffen zu liefern würde nur eine Verlängerung des Konflikts bedeuten. Auch den USA, die ein militärisches Eingreifen in der Ostukraine fordern, müsse klar sein, dass man Russland für die Konflikte in Syrien, im Irak/Iran, und auf dem Feld Energie brauche.
Für die Zukunft, so Barth, sei entscheidend, wie lange Russland angesichts der Wirtschaftslage durchhalten könne und was das Ziel Putins sei. Immerhin ist schon von „Neurussland“ die Rede - ein Begriff aus Zarenzeiten – d.h. einer Abspaltung des östlichen Teils der Ukraine.
Bisher gebe es im Ostukrainekrieg 6000 Tote – 50 000 russ. Soldaten seien - inoffiziell - im Einsatz. Die großen Befürchtungen im Baltikum oder in Polen, dass Putin versuchen werde die Länder mit großem russischen Bevölkerungsanteil zu annektieren, seien nachvollziehbar.
Schließlich ist nicht auszuschließen, dass aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen die Kritik an Putin wachse und er versuchen werde, sich „als Mann der Stärke“ zu präsentieren.