Christsein in einer fragilen Welt
20. Apr 2022
So sehr wir Prof. Vogt in seinen christlichen sozialethischen Dokumentationen schätzen, umso mehr sind wir enttäuscht über seine Aussagen zu Revisionen der Friedensethik angesichts des Ukrainekriegs in oben genanntem Essay.
Bei unserer
Kritik haben wir uns auf einige seiner Thesen beschränkt.
Zunächst teilen wir uneingeschränkt die Verurteilung des Angriffskrieges der russischen Machthaber auf die Ukraine sowie die Ausführungen von Prof. Vogt zur Notwendigkeit einer Versöhnung unter Einbeziehung der Kirchen.
Aber wenn
Prof. Vogt dem Mainstream folgend den Vorwurf erhebt, dass die
Waffenlieferungen von Deutschland jetzt zu spät kommen, sehen wir das sehr
kritisch. Pax christi hat die frühere Haltung der Bundesregierung, keine Waffen
an die Ukraine zu liefern, immer unterstützt.
Auch teilen wir nicht die Auffassung, dass die früheren politischen Kontakte sowie die kulturellen wie wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland grundsätzlich falsch waren (S. 41).
Entschieden lehnen wir ab, dass das Sondervermögen von 100 Milliarden € ethisch geboten sei, hier müsse man friedenspolitische Überzeugung hinter sich lassen und dies wäre aus Sicht der christlichen Friedensethik zu begrüßen (S. 41).
Pax christi hält eine solch weitreichende Aufrüstungsverpflichtung mit Verfassungsrang für den falschen Weg und hat Sorge, dass diese größte Rüstungsinvestition in der deutschen Nachkriegsgeschichte zu einer neuen Rüstungsdynamik führt. Dies widerspricht dem in der Präambel des Grundgesetzes verankerten Friedensgebot.
Einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Angriff Russlands auf die Ukraine und dem 100 Milliarden-Sondervermögen Bundeswehr, das die Ausstattung der Bundeswehr für die Landesverteidigung verbessern soll, gibt es nicht. Die Mängel in der Ausrüstung sind nicht in erster Linie ein finanzielles Problem, sondern eins in Beschaffung, Logistik und interner Organisation
Woher werden die Mittel kommen angesichts eines Rekordhaushalts von 460 Milliarden für 2022 bei einer geplanten Neuverschuldung von 99 Milliarden? Geplant ist, bei den Ärmsten der Armen zu sparen. Im Bundeshaushalt sind Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit und Humanitären Hilfe um 1,6 Milliarden Euro vorgesehen.
Eine
„Sicherheitsarchitektur“ ist nur durch Verhandlungen und Verträge miteinander
möglich und ethisch vertretbar, nicht durch die ständig steigende
Aufrüstung gegen potentielle Gegner.
Und hier gibt es gibt genügend zivile wirksamere Modelle zur Konfliktlösung.
Die Grundlinien der katholischen Soziallehre müssen wegen eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges nun nicht als naiv und überholt angesehen werden. Und die friedensethischen Konsequenzen des Christseins können durch eine „fragile Welt“ nicht neu definiert werden.
Wir haben die Enzyklika „Fratelli tutti“ schon immer als Friedensenzyklika begrüßt und unterstreichen deshalb gerne die entsprechenden Passagen in dem Text von Prof. Vogt. Aber seine Behauptung, die pazifistische Ablehnung jeglicher Kriegsführung durch den Papst halte der derzeitigen Situation in der Ukraine nicht stand (S. 41), überzeugt uns nicht.
Bei den drei
Grunddimensionen der Toleranz, die Vogt als notwendig für ein zukünftiges
Miteinander bezeichnet (S. 44) empfinden wir es geradezu als Widerspruch in
sich selbst, wenn er die Verteidigung der Menschen- und Freiheitsrechte auf
militärische Unterstützung bauen will. Die von Prof. Vogt geforderte
Wehrhaftigkeit der Demokratie kann gar nicht militärisch nach außen gesichert
werden. Unter einer wehrhaften Demokratie wird nicht die Bedrohung durch einen
Feind von außen berührt, sondern gemeint ist hier eine Bedrohung innerhalb
eines demokratischen Staatsgebildes, der man zum Beispiel durch das
Tätigkeitwerden des Verfassungsschutzes entgegen treten kann.
Wenn Franziskus in seiner Enzyklika in Kap. 258 sagt, dass man „den Krieg nicht mehr als Lösung betrachten“ kann, weil die „Risiken wahrscheinlich immer den hypothetischen Nutzen, der ihm zugeschrieben wurde, überwiegen“: gilt das nicht auch für den Widerstand gegen einen Angriff, auch wenn er noch so ungerecht und brutal sein mag?
In Kapitel 260 erinnert Franziskus I. dann ja auch an Papst Johannes XXIII., der gesagt hat: "Darum widerstrebt es …der Vernunft, den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten.“
Auf diesem Hintergrund halten wir es für geradezu fatal, wenn in den Ausführungen von Prof. Vogt aus einer vom Evangelium her inspirierten Friedensethik zumindest in einigen Passagen eine eher vom Abschreckungs-Gedanken geleitete Friedens- und Sicherheitsethik entwickelt wird, in der Waffengewalt und Aufrüstung für Christen „in einer fragilen Welt“ zu legitimen, Mitteln für die Verteidigung und Sicherheit der Demokratie werden.
Wir sehen da die Gefahr, dass aus der christlichen Lehre vom gerechten Frieden wieder die Lehre vom gerechten Krieg wird und unser christlicher Auftrag aus dem Evangelium zur pazifistischen Utopie.
Der Vorstand des Diözesanverbandes pax christi
München und Freising würde neben der geplanten Podiumsdiskussion am 25.04. ein
persönliches Gespräch mit Herrn Prof. Vogt begrüßen.
Der Text ging am 20.4. an den n den Direktor der katholischen Akademie in Bayern, Dr. Achim Budde.
Der Ukraine-Krieg und die Theologie
Professor Markus Vogt, katholischer Sozialethiker an der LMU und Vorsitzender unseres Münchner Hochschulkreises,
Professor Erich Garhammer, emeritierter Pastoraltheologe aus Würzburg und Gastgeber der literarischen Reihe der Akademie, sowie
Professorin Jennifer Wasmuth, evangelische Theologin aus Göttingen und Expertin für die Orthodoxie.
Beitritt zu unserem Zoom-Gespräch: https://us02web.zoom.us/j/87150274240
weitere Informationen: https://www.kath-akademie-bayern.de/veranstaltungen/veranstaltungen/veranstaltung/2022-der-ukraine-krieg-und-die-theologie.html