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Impuls zum 18. August 2024

Zum 20. Sonntag im Jahreskreis

Von Ferdinand Kerstiens (Marl), pax christi Münster

Ewiges Leben

Evangelium nach Johannes 6,51-58:
In jener Zeit sprach Jesus zu der Menge: Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der Welt. Da stritten sich die Juden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben? Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, das sage ich euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben. Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Mit ihm ist es nicht wie mit dem Brot, das die Väter gegessen haben; sie sind gestorben. Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit.

Wovon leben wir eigentlich? Wofür leben wir? Was ist das für ein Leben, das wir suchen? Wie kommen wir dahin? Jetzt, hier und heute, zumindest morgen, nicht irgendwann einmal, vielleicht sogar erst nach dem Tod?

Die Bibel nennt das Angebot, die Einladung Gottes: Ewiges Leben. Fragen Sie sich, fragen Sie andere Christinnen und Christen, was das ist: „Ewiges Leben“. Sie werden Ihnen in der Regel mit dem Hinweis auf das Leben nach dem Tod antworten. Ewiges Leben – das wünschen und erbitten wir ja für die Toten. Ewiges Leben, das ist dann das Leben, das mit dem Tode beginnt und in Ewigkeit andauert. Ewig – das ist die unendliche, unbegrenzte Zeit. So denken wir meistens, und doch ist es falsch, zumindest einseitig und missverständlich. 

In der Mitte des heutigen Evangeliums heißt es: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben“. Zugegeben: das mit dem Fleisch essen und das Blut trinken sind drastische Bilder. Sie wollen sagen, dass die Gemeinschaft zwischen Jesus und den Gläubigen von solcher Art ist, dass die Menschen schon jetzt im Glauben teilhaben am Leben Jesu mit Gott, dem Vater. Erst sehr viel später hat man diese Bilder auf die Kommunion in der Messfeier bezogen und verschärft.

Die Botschaft Jesu meint unser Leben heute. Deswegen ist „ewig“ etwas, was uns heute schon zugesagt und geschenkt ist. Deswegen meint „ewig“ keine Quantität, ein endloses Leben, sondern die Qualität des Lebens hier und jetzt. Ewiges Leben ist das Leben, das vor Gott Gültigkeit besitzt, von ihm angenommen ist. Solches Leben beginnt nicht erst mit dem Tod. Ewiges Leben ist das Leben, das schon jetzt beginnt, das aber von solcher Art ist, dass der Tod keine Macht darüber hat, das deswegen auch im Tode nicht zerstört wird. 

Auf solche Art aufmerksam geworden, finden wir viele ähnliche Aussprüche in der Bibel: Von der Gemeinschaft mit Jesus, vom Glauben und von der Eucharistie, ineinander verschränkt: „Wer von diesem Brot (also jetzt) isst, wird leben in Ewigkeit.“ So am Anfang des heutigen Evangeliums. Vom Glauben: „Wer glaubt, hat das ewige Leben.“ (Jo 3,36) Ich habe schon mehrfach Erstaunen geweckt, wenn ich diesen Satz zitierte. Wir hätten vielleicht gedacht: Wer glaubt, wird das ewige Leben erhalten. Aber so heißt es eben nicht. Wer glaubt, hat das ewige Leben, hier und jetzt und nicht erst später, aber so, dass das „hier und heute“ kein Ende kennt, weil diese Gemeinschaft mit dem lebendigen Jesus vom Tod nicht mehr zerstört werden kann.

So heißt es von der Liebe: „Wir wissen, dass wir vom Tod zum Leben hinübergegangen sind, weil wir die Schwestern und Brüder lieben“ (1 Joh 3,14). „Aus dem Tod in das Leben hinübergegangen“ – das ist Perfekt, das ist schon so geschehen. Was in der Liebe getan ist, kann von der tötenden Macht des Todes nicht mehr eingeholt werden. Liebe ist ewiges Leben. Das hat schon etwas von Auferstehung in sich.

Es lohnt sich, die Schrift einmal unter diesem Gesichtspunkt zu lesen, dann stoßen wir in vielen Formulierungen darauf: Ewiges Leben ist Leben mit dem Auferstandenen, schon jetzt, mitten unter den Bedingungen der alten Welt, Leben aus seinem Geist, aus seiner Liebe, von der uns nichts und niemand mehr trennen kann: So Paulus: „Denn ich bin gewiss: weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder der Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes in Christus Jesus, unserem Herrn“ (Röm 8,38).

Leben wir Christinnen und Christen in dieser Gewissheit? Ich fürchte, wir vertrösten uns oft noch aufs Jenseits. Aber wenn wir diese Worte vom „ewigen Leben“, an dem wir schon teilhaben können, bedenken, dann ahnen wir vielleicht etwas von der Fülle des Lebens, die uns jetzt schon geschenkt ist. Dann gewinnen alltägliche Erfahrungen von Liebe und Glück, von Sinn und Erfüllung eine neue Tiefe, weil sich in ihnen schon ankündigt, was jetzt schon Wirklichkeit ist, wenn auch noch verborgen. Es ist wichtig, sich immer wieder in Augenblicken der Stille dessen zu vergewissern, eine Ahnung davon zu wecken, um daraus leben zu können. 

Dann sind wir auch immun gegen die vielen Heilsangebote unserer Konsumgesellschaft, gegen die vielen Worte, die uns Erfüllung und Genuss versprechen, die sie aber höchstens vorübergehend, für ein paar Augenblicke der Betäubung gewähren können, uns aber hinterher umso leerer entlassen. Wir können die Dinge, die uns angeboten werden, für unser Leben gebrauchen, sie teilen, damit auch andere davon leben können. Dafür sind sie da, aber eben nicht als Götter, denen wir zu dienen haben oder denen wir alles andere opfern müssen. Das Geld hat nicht das letzte Wort über uns. Es ist vorübergehendes Mittel zum Leben, nicht das Ziel, wie uns manche Wirtschaftsnachrichten vorgaukeln, die uns „Wachstum“ als Erlösungsbotschaft verkaufen.

Wenn wir aus dieser Gewissheit zu leben versuchen, dann öffnen sich uns neue Perspektiven: Wir lernen, die Geister zu unterscheiden, den vorübergehenden Augenblick wichtig zu nehmen, weil in ihm Entscheidendes geschehen kann. 

Man hat den Christen vorgeworfen, sie nähmen die Gegenwart nicht ernst, weil sie nur auf das Jenseits starrten. Das trifft für manche Frömmigkeitsformen zu, so z.B. bei der „Nachfolge Christi“ von Thomas von Kempen, eines der verhängnisvollsten Bücher der Christentumsgeschichte, das Jahrhunderte lang
die Frömmigkeit geprägt hat und geradewegs zu der richtigen Analyse von Karl Marx führte: diese „Religion ist Opium des Volkes“. Nur ein Zitat von vielen möglichen: „Lerne dich erniedrigen, du Erde und Lehm, und dich beugen unter die Fußtritte der Menschen! Lerne die Regungen deines Eigenwillens brechen  und dich jeder Knechtschaft geduldig zu fügen.“ (Kapitel XIII) Jesus war ein Liebhaber des Menschen. So ist er den Menschen begegnet. Er hat die unter vielerlei Lasten gekrümmten Menschen aufgerichtet und ihnen neuen
Lebensmut geschenkt, eben „ewiges Leben“ schon jetzt. Denn „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10) schon jetzt und endgültig. 

Aber wenn wir aus dem Vertrauen auf das ewige Leben, das uns jetzt schon geschenkt ist, unser Leben zu gestalten versuchen, dann gewinnt gerade die Gegenwart, das Hier und Heute, ein besonders Gewicht. Die Begegnungen mit anderen Menschen, so vorübergehend sie auch sein mögen, bekommen Ewigkeitsgewicht. Jeder Augenblick unseres Lebens kann mit ewigen Leben gefüllt werden. „Kommt, esset von meinem Mahl und trinket vom Wein, den ich gemischt“, sagt die göttliche Weisheit (erste Lesung), eine Einladung an alle Menschen.

Vielleicht bedeutet ein Leben aus diesem Bewusstsein eine innere Umstellung unserer Frömmigkeit. Aber unser Leben gewinnt dadurch an Tiefe. Doch damit nicht genug: „Wer von diesem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird nicht mehr durstig sein, vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur Quelle werden, die Wasser für das ewige Leben ausströmt“ (Joh 4,14).  Hier wird der Mensch, der sich von Jesus beschenken lässt, selber Quelle des ewigen Lebens für andere. Wenn wir uns darauf einlassen, werden wir zur Quelle des ewigen Lebens für andere! In dieser Perspektive gewinnt dann auch unser Einsatz für Gerechtigkeit, Versöhnung, Frieden neue Tiefe, neue Kraft auch für kleine Schritte, selbst, wenn diese Schritte manchmal (oft?) zu scheitern scheinen.

Gelingt es uns, zu ahnen, was uns hier angeboten ist? Gelingt es uns, daraus zu leben? Gelingt es uns, darüber zu staunen und dafür zu danken? Es würde unser Leben verändern.

Verborgener, guter Gott des Lebens,
wir können es kaum glauben:
In uns soll schon jetzt ewiges Leben lebendig sein?
Anteil an deinem Leben?
Wir spüren so wenig davon!
Die Zeit geht dahin, Alltag für Alltag.
Wir sind getrieben von diesem und jenem.
Wir lassen uns treiben.   

Und dennoch soll in unserem Leben eine Tiefe verborgen sein,
in der du lebst, endgültig?
Ewiges Leben, Fülle des Lebens, schon jetzt,
gegen das kein Tod mehr ankommt?

Lass uns etwas davon spüren!
Lass uns ahnen, was in uns vorgeht!
Lass uns einander weiterschenken,
was wir von deiner Liebe erhalten!