Friedensklima – Frieden in der Klimakrise?
29. Sep 2019
Klimaschutz ist heute zum Glück zwar in aller Munde, auch die
Medien berichten täglich von Demonstrationen, Konferenzen, neuen wissenschaftlichen
Studien, Aufrufen, Warnungen der Umweltverbände, Krisensitzungen der Regierungen
und Ministerbeschlüssen – alle zum Thema Klimaschutz. Und dennoch – kaum zu
glauben – gibt es immer noch Klimaleugner, die hartnäckig behaupten, dass es
keinen Klimawandel gäbe bzw. die Temperaturzunahme nicht vom Menschen
verursacht sei. Die AfD und selbsternannte Meteorologen „glauben“ ebenso wie
der amerikanische Präsident nicht den Befunden der überwältigenden Mehrheit der
internationalen Wissenschaftler, die nicht mehr nur von einem Klimawandel,
sondern von einer dramatischen Klimakrise sprechen. Diese wird
hervorgerufen durch den weltweit immer noch zunehmenden Ausstoß von
Treibhausgasen (vorwiegend CO2 und Methan) der Industrie, des Verkehrs und der
Haushalte, d.h. durch Produktion und Konsum des Menschen. Die Metapher
„glauben“ verweist auf eine bekenntnishaft religiöse Dimension hin, dabei geht
es schlicht um klare, nüchterne und evidenzbasierte Tatsachen, die
einfach zur Kenntnis zu nehmen sind, auch wenn sie erdrückend und unbequem
sind. Schon Al Gore, der frühere Vizepräsident der USA, wurde 2007 mit dem
Friedensnobelpreis ausgezeichnet für seine Kampagne „Eine unbequeme
Wahrheit“.
Auch die weltweit stattfindenden Demonstrationen der Bewegung „Fridays for future“ sind unbequem und klagen zu Recht uns Erwachsene, unseren Lebensstil, unsere Wirtschaft und die dafür verantwortliche Politik an. Vor der UN sagte Greta Thunberg: „Ganze Ökosysteme brechen zusammen. Wir stehen am Beginn eines Massenaussterbens. Und alles, worüber Ihr reden könnt, ist Geld und Märchen von ewigem Wachstum. Wie könnt Ihr es wagen!“
Das ist Anklage und zugleich die ungeschönte Analyse unserer Gegenwart: Wir führen einen Krieg gegen die Bioshäre und vernichten dabei die Grundlagen alles Lebens auf dieser Erde. Die Zerstörung betrifft alle Lebensbereiche und zeigt erschreckende Ausmaße, die durch untrügliche Indikatoren für Jeden sichtbar sind: Temperaturzunahme, Pflanzensterben, Waldsterben, Rodung des Regenwaldes, Tiersterben, Gletschersterben, Eisschmelze in Arktis und Antarktis, Meeresspiegelanstieg und Versauerung der Ozeane, Wüstenausbreitung, Extremwetterereignisse mit Sturm und Flut, Auftauen des Permafrostes, Wassermangel, Nahrungsmangel, Flucht und und ……..
Deshalb wird unser Zeitalter als „Anthropozän“ bezeichnet, eine mit der Industrialisierung beginnende Zeitspanne, die nicht mehr durch geologische Prozesse gekennzeichnet ist, sondern durch die zunehmenden Eingriffe des Menschen in die Natur, den Raubbau an Ressourcen, die Verwüstung und Vergiftung ganzer Ökosysteme mit der Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten. Der Physiker Harald Lesch spricht von „Kapitalozän“, weil der Motor dieses Wachstumswahns die Gier des Kapitalismus und seiner Wirtschaft darstellt (Papst Franziskus: „Diese Wirtschaft tötet!“). Weltweit brauchen wir jetzt schon für unseren Lebensstil, unseren Ressourcenveerbrauch 1,7 Erden, in Deutschland gar 3 Erden und die USA benötigen 5 Erden, wenn wir so weiterleben im Sinne von „business as usual“. Wir haben aber nur diese eine Erde, die auch noch für unsere Kinder und Enkel und zukünftige Generationen als Lebensraum erhalten bleiben muss.
Die „planetarische Grenze“ der maximal zulässigen Temperaturerhöhung von 1,5 bis 2 Grad wurde durch das Pariser Abkommen nicht willkürlich festgelegt, sondern durch den Weltklimarat als kritische Obergrenze ermittelt, bei deren Einhaltung das Erdklima mit vertretbarer Wahrscheinlichkeit noch nicht vollständig instabil wird. Beim Überschreiten dieser Grenze können jedoch Teilsysteme der Biospäre (sog. Kipppunkte, z.B. arktische Eisschmelze, Amazonas-Regenwald, Permafrostwälder, Monsunsystem usw. ) kollabieren und durch Rückwirkung auf andere Teilsysteme zu einem Kollaps des gesamten Klimasystems führen, dessen katastrophale Auswirkungen nicht mehr vorhersehbar sind. Bedenkt man, dass jetzt schon eine Temperaturerhöhung von ca. 1 Grad erreicht ist und alle Maßnahmen im Rahmen des Paris-Abkommens nach Aussagen der Wissenschaft nicht ausreichen werden, um die 1,5- bis 2 Grad-Grenze einzuhalten, wird deutlich wie dramatisch die Situation ist und wie unzureichend die Klimaschutzmaßnahmen vieler Länder, auch Deutschlands, sind.
Leider wird der Zusammenhang zwischen Klimakrise und Militär, d.h.
Krieg und Frieden, noch zu wenig gesehen.
Dabei warnen Studien, immerhin veranlasst vom Pentagon und anderen
Militäradministrationen, vor den Auswirkungen der Klimakrise auf die Einsatzfähigkeit
der Armee. Besonders bedrohlich erscheint den Generälen dabei der Meeresspiegelanstieg
für die vielen tausend amerikanischen Militärstützpunkte, weil Flugzeuge
nicht starten können, wenn die Rollbahn unter Wasser steht und die
Zufahrtsstraßen zu den Stationierungsorten überflutet sind.
Wie massiv aber das Militär selbst zur Klimakrise beiträgt wird entweder
verschwiegen, verdrängt oder verharmlost und ist in der Öffentlichkeit kaum
bewusst. Die Millionen Toten der Kriege der letzten Jahrzehnte, damit
einhergehend die Verwüstungen und Verseuchungen ganzer Ökosysteme durch Gifte
(Agent Orange, Uranmunition) und Kampfmittel (Streumunition, Minen), sind
leider nur eine traurige Bilanz des Militäreinsatzes.
Rüstung tötet aber auch ohne Krieg! Die Produktion der Waffen und anderer
militärischer Ausrüstung, der Unterhalt und die Versorgung der
Militärstützpunkte, laufende Waffenteste, die permanenten Übungen und Einsätze
der Soldaten mit Fahrzeugen, Flugzeugen und Schiffen, erfordert nicht nur einen
ungeheuren Verschleiß an Ressourcen, sondern führt auch zu einem Ausstoß an
Treibhausgasen, der unvorstellbar ist. Die US-Armee alleine erzeugt so einen
CO2-Ausstoß, der mit dem von ganz Schweden oder Dänemark vergleichbar ist, die
Bundeswehr trägt zur Klimakrise soviel bei wie eine Großstadt mit 200.000
Einwohnern! Hinzu kommt, dass die enormen Kosten für Rüstung, weltweit
1,8 Billionen Dollar, für notwendige Klimaschutzmaßnahmen und für die
Investition in erneuerbare Energien fehlen. Allein in Deutschland wurden im
Jahr 2018 ca. 49 Mrd. Euro für Rüstung ausgegeben, dagegen nur 10,5 Mrd. Euro
für erneuerbare Energien (Angaben von Greenpeace).
Weltweit befinden wir uns in einer enormen Aufrüstungsspirale.
Offenbar wollen sich die Nationen auch vor den Auswirkungen der zunehmend
begrenzten Rohstoffe und der Zuspitzung der Klimakrise „rüsten“. Die
Strategiepläne lassen daran keinen Zweifel, wenn dort von „Sicherung der
Handelswege und Rohstoffzugänge“ die Rede ist.
Seit über 10 Jahren dokumentieren etliche Studien die Auswirkungen des
Klimawandels auf die Sicherheit, dass mit einer Zunahme kriegerischer
Gewalt zu rechnen ist. Für viele vom Klimawandel besonders betroffene
Länder wird ein friedliches Zusammenleben dann nicht mehr möglich sein. Besonders
eindringlich zeigt dies das Worst-Case-Szenario eines australischen
Forscherteams von 2019 auf: „Eine
menschliche Zivilisation wie heute wird es 2050 schon nicht mehr geben“. Wenn
mehr als eine Milliarde Menschen umgesiedelt werden müssen, wenn Kriege wegen
Migration, Wasser- und Nahrungsmittelknappheit massiv zunehmen, muss auch mit
der Gefahr irrationaler Regierungshandlungen selbst bis zu einem Atomkrieg
gerechnet werden, so die Prognose.
Friedensklima? Bei all diesen düsteren Aussichten muss man eher sehen, wie dunkle Wolken am Horizont dräuen und Friedenszeichen nur in ganz wenigen Sonnenstrahlen wahrnehmbar sind. Das darf kein Grund sein, die Hoffnung aufzugeben, im Gegenteil, die meisten wissenschaftlichen Studien kommen zu dem Ergebnis, dass nach wie vor noch die Chance besteht, die Klimakrise zu begrenzen und damit schlimmste Folgen zu verhindern. Konsequenter Klimaschutz bedeutet deshalb auch Friedenspolitik! Allerdings muss dieser sofort, jetzt und entschieden, tiefgreifend, nicht halbherzig geschehen. Dabei mitzuhelfen sind alle verantwortlich: Jeder einzelne Mensch, ob alt oder jung, mit seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten, aber natürlich auch die Politik, die den notwendigen Handlungsrahmen durch Gesetze, Verordnungen, Förderungen und Verträge schaffen muss. Auch die Wirtschaft und die Verbände haben die Möglichkeit durch Eigeninitiative, kreative Innovation, aber auch durch Protest und Widerstand ein „Weiter so“ zu verhindern und damit einen Aufbruch in eine gerechte, friedlichere, nachhaltige und am Gemeinwohl orientierte Entwicklung zu wagen. Technokratische und wachstumsorientierte Wege, die das gegenwärtige Dilemma mit hervorgerufen haben, werden dabei keine Lösung der Probleme erreichen.
Auch wenn es nur wenige sagen und es ungern gehört wird: In einer begrenzten Welt werden alle ein begrenztes menschliches Maß in einem suffizienten Lebensstil finden müssen. Bei dieser Pionierarbeit sollten eigentlich die Christen und ihre Kirchen vorangehen, um gaubwürdig zu wirken. Immerhin gibt es ja schon „churches for funture“.Erwin Schelbert