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pax christi

menschen machen frieden - mach mit.

Unser Name ist Programm: der Friede Christi. 

pax christi ist eine ökumenische Friedensbewegung in der katholischen Kirche. Sie verbindet Gebet und Aktion und arbeitet in der Tradition der Friedenslehre des II. Vatikanischen Konzils. 

Der pax christi Deutsche Sektion e.V. ist Mitglied des weltweiten Friedensnetzes Pax Christi International.

Entstanden ist die pax christi-Bewegung am Ende des II. Weltkrieges, als französische Christinnen und Christen ihren deutschen Schwestern und Brüdern zur Versöhnung die Hand reichten. 

» Alle Informationen zur Deutschen Sektion von pax christi

Palästina: Gewaltfrei gegen die Mauer

31. Okt 2015

Dr. Toine van Teeffelen aus Bethlehem zu Gast bei pax christi in München

Bericht von Marion Wittine

Beim Spielart Festival in München präsentiert Dr. Toine van Teeffelen, der Leiter der Abteilung Bildung am Arab Educational Institute (AEI) in Bethlehem – einer Mitgliedsorganisation von Pax Christi International – an diesem Wochenende am Gasteig eines seiner Herzensprojekte: das MAUERMUSEUM.

Das MAUERMUSEUM befindet sich in Bethlehem und somit am Rand der Palästinensischen Autonomiegebiete im Westjordanland. Nördlich der Stadt verläuft die israelische Sperranlage, die mit einer bis zu acht Meter hohen Mauer Bethlehem von Jerusalem trennt. Das MAUERMUSEUM ist eine Sammlung fragiler Geschichten, die vom Leben im Schatten der unter Verstoß gegen das Völkerrecht errichteten Mauer erzählen. Aktuell besteht das Museum aus 120* dünnen, 1x2 Meter großen Blechtafeln, die an der Mauer befestigt sind und kurze Berichte über das Alltagsleben palästinensischer Frauen und Jugendlicher enthalten. Sie erzählen von Ausdauer oder sumud (arabisch: Standhaftigkeit) und dem Widerstand gegen die Restriktionen. In einer aktuellen Erweiterung des Museums präsentieren die Plakate zudem kreative Text-Bild-Darstellungen junger Palästinenser zum Thema »Bilder der Freiheit«. 

Im Rahmen von ART IN RESISTANCE beim Spielart Festival sind Fotografien des WALLMUSEUM zu sehen. Außerdem wird der Film eines Aktivisten gezeigt, der die Vorbereitungsarbeiten zu den aktuellen Erweiterungen, Performances junger Künstler vor den Plakaten, die Reaktionen der Zuschauer und Interviews mit Jugendlichen aus dem benachbarten Flüchtlingslager dokumentiert.

(Quelle: Spielart Festival)

 

Am Vorabend der Ausstellungseröffnung lud pax christi zu einem Gesprächsabend mit Toine van Teeffeen ins EineWeltHaus:

Die 1986 in Bethlehem gegründete gemeinnützige Nicht-Regierungsorganisation AEI will (vor allem) junge Menschen ermutigen, trotz aller Schwierigkeiten die sozialen, nationalen und religiösen Grenzen zu überwinden und ihre eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, insbesondere

  • ihre eigene Identität zu finden und auszudrücken, nicht nur verbal, sondern auch mit kreativen Mitteln;
  • gewaltfreie Aktionen gegen die israelische Besatzung zu entwickeln und auszuführen;
  • ihre kommunikative Kompetenz zu verbessern, damit sie die Botschaft von einem Frieden weiter tragen können, der auf Gerechtigkeit und Versöhnung beruht.

Gegen die Mauer zwischen Jerusalem und Bethlehem – Sumud Story House und Wall Museum

Das „Sumud Story House“ des AEI in der sog. „Rachel’s Tomb Area“, ein Bezirk in der Nachbarschaft zum heiligen Grab Rachels (nach biblischer Überlieferung eine der Frauen Jakobs, Sohn Isaaks) ist ein lehrbuchartiges Beispiel für gemeinwesenbezogene und sozialräumliche Sozialarbeit. Der Bau der Trennmauer in den Jahren 2002/2003 führte zu heftigen sozialen und wirtschaftlichen Einschnitten für die örtliche Bevölkerung in der „Rachel’s Tomb Area“. Die hoffnungslose, von hoher Arbeitslosigkeit und Emigration geprägte Situation führte zur Errichtung des „Sumud Story House“. Das Story House bietet regelmäßige Gruppenangebote sowie Weiterbildungsprojekte, vor allem für Frauen, an. So ermutigt das „Sumud Story House“ die Bewohner ihre Nachbarschaft nicht zu verlassen. Eines der Langzeitziele des Story House ist die Ermächtigung und Befähigung der verbliebenen Bewohner, durch die Gruppenarbeit mit Frauen als lokale Multiplikatoren, ein auf gewaltfreien sowie selbstbestimmenden Prinzipien basierendes soziales gerechtes Leben zu führen. Im „Sumud Story House“ setzen die Frauen sich mit ihrer Vergangenheit auseinander, schreiben ihre Geschichten auf und erzählen diese.

Daraus entstand die Idee, die kleinen Geschichten aus dem schwierigen Alltag der Palästinenserinnen auf Riesenposter zu ziehen und diese direkt an der Mauer – dem Symbol der Besatzung – zu befestigen. Wie van Teeffelen ausführte, dulden die israelischen Soldaten die Anbringung der Poster an der Mauer – Beobachter des Weltkirchenrats sorgen für Schutz der „Posteraktivisten“. Die Poster sind auch eine Möglichkeit, den Schicksalen der Menschen einen Namen und ein Gesicht zu geben. Es sind Geschichten von Frauen, von Kindern und Jugendlichen, von ihren Ängsten und Träumen, von irrwitzigen und tieftraurigen Ereignissen aus deren Leben, von Flüchtlingen in den Camps bei Bethlehem. Eines der Poster ist graphisch wie eine Zeitungsartikel gestaltet und titelt zynisch: „Die Mauer ist gefallen“. Die Poster sind in englischer Sprache, um damit auch die internationalen Besucher, die unweit der „Rachel’s Tomb Area“ den Kontrollposten an der Mauer passieren, erreichen zu können. Inzwischen wird aber auch an einer Übersetzung in die arabische Sprache gearbeitet.

Andere gewaltfreie Aktionen im Widerstand gegen die Mauer sind Konzerte, Schweigemärsche und interreligiöse Gebete an der Mauer. Den Kontrast zwischen der Zerbrechlichkeit von Kunst und Kultur und der Mauer, die für Härte und Tod steht, empfindet Toine van Teeffelen als besonders bedrückend. 

Gegen die Mauer in den Köpfen – Interreligiöses Projekt „Living together in the Holy Land: Respecting Differences”

Die Jugend in Palästina bezeichnete van Teeffelen als desillusioniert: viele meinen, ohnehin nichts mehr ändern zu können; es mache keinen Unterschied, ob man sich engagiert oder nicht – morgen werde ohnehin alles noch schlimmer sein. Sie lehnen die politischen Parteien ebenso ab wie Verhandlungen mit Israel.

Auf israelischer Seite verzeichnet van Teeffelen wiederum einen steigenden (religiösen) Nationalismus – die orthodoxen Juden machen inzwischen ca. 25-30% der Bevölkerung aus. Neuerdings empfehlen immer mehr Rabbis ihren Gläubigen am Tempelberg zu beten und einige Minister setzen sich für den Bau eines neuen Tempels (statt der Al-Aksa-Moschee) ein – Forderungen, die bis vor einigen Jahren auf jüdischer Seite noch ein Minderheitenprogramm waren.

Trotz der Frustration und Hoffnungslosigkeit in der gegenwärtigen Realität versuchen die MitarbeiterInnen des AEI immer wieder, die Hoffnung zu erneuern. Um die Hoffnung aufrechtzuerhalten sei ein massiver Druck der internationalen Gemeinschaft auf Israel notwendig, so der gebürtige Niederländer van Teeffelen. Diese Vision schaffe Hoffnung und damit Perspektiven – auch für den gewaltfreien Widerstand und den sumud der palästinensischen Bevölkerung.

Als kleine Hoffnungsschimmer bezeichnete van Teeffelen die Tatsache, dass sich die jüdische Gemeinschaft in den USA – vor allem die jüngere Generation – deutlich kritischer gegenüber der israelischen (Besatzungs-)Politik äußert als bisher. Auch die internationale BDS-Kampagne (Boykott, Kapitalabzug und Sanktionen) gegen Israel, die 2005 auf den Aufruf von über 170 palästinensischen Nicht-Regierungsorganisationen hin ins Leben gerufen wurde, verzeichnet seit etwa drei Jahren deutlich mehr internationalen Zuspruch als früher.

Sehr erfolgreich sei, so Toine van Teeffelen, das – vom Erzbistum München & Freising mitfinanzierte – interreligiöse (christlich-islamische) Schulnetzwerkprojekt des AEI: „Living together in the Holy Land: Respecting Differences“. Dieses, in den 1990er Jahren begonnene Projekt arbeitet heute mit 20 christlichen Privatschulen (2016: 30 Schulen) und 7 staatlichen Schulen in Ramallah  und Bethlehem. Die christlichen Privatschulen stehen auch muslimischen Jungen und Mädchen offen. Religionsunterricht ist, genauso wie in Deutschland, bisher noch in religionshomogenen Klassen separiert. Konkret führt das AEI Konferenzen zu interreligiöser Didaktik sowie Methodik und Workshops zu interreligiösen Übungen durch, entwickelt Schulbuchmaterial und Geschichten sowie Unterrichtsvorschläge für einen gemeinsamen, einmal monatlich an den kooperierenden Schulen stattfindenden christlich-islamischen Religionsunterricht, mit dem SchülerInnen die jeweils andere Religion nahe gebracht werden soll. Das Projekt dient der Prävention von Spannungen zwischen Christen und Muslimen in Palästina. Auf beiden Seiten ist die Kenntnis über die Religion des anderen mangelhaft und die Vorurteile groß, auch wenn sich das Zusammenleben weitgehend konfliktfrei gestaltet.  

Das Fazit des studierten Sozialanthropologen van Teeffelen: „hope“ (englisch: Hoffnung und hoffen) ist ein Verb – und bedeutet daher Aktion.

 

Bildmaterial:

Dr. Toine van Teeffelen

https://picasaweb.google.com/112642431027877733782/20151029PaxChristi?authuser=0&authkey=Gv1sRgCMGBzLyagdyzzAE&feat=directlink

und

Wall Museum

http://alternativenews.org/archive/index.php/features/culture/6820-photos-perusing-the-wall-museum-6820


* Anmerkung M.W.: Das MAUERMUSEUM wurde im August 2015 um weitere 100 Poster am Mauerteil beim Aida-Flüchtlingslager am Ortsrand von Bethlehem erweitert.

 

Biografie:

Toine van Teeffelen leitet die Abteilung Bildung am Arab Educational Institute (AEI-Open Windows) in Bethlehem und ist als Reiseführer tätig. 1976 machte er seinen M.A. in Sozialanthropologie, 1993 promovierte er über Diskursanalyse an der Universität von Amsterdam. Er schrieb zehn Handbücher für Pädagogen in Palästina sowie zahlreiche Artikel in internationalen Fachzeitschriften über die Bilder Palästinas und der Palästinenser. Zu seinen narrativen Werken gehören das BETHLEHEM DIARY sowie in jüngerer Zeit zwei Bücher über sumud (Standhaftigkeit) –  SUMUD: SOUL OF THE PALESTINIAN PEOPLE sowie LIEBE, WUT UND WÜRDE: DIE GESCHICHTE EINER FAMILIE IN DER BESETZTEN WESTBANK. Er lebt mit seiner palästinensischen Frau und zwei Kindern in Bethlehem.